Bienenzüchtungskunde
Theodor Fisher Verlag
1919
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ie Drohne als azygotes, absolut, reines Lebewesen
Dieser Umstand hat nun aber eine Reihe von merkwürdigen Folgen.
Bei der Bienenkönigin und bei allen Tieren, die zwei Eltern haben, finden sich zwei Chromosomengarnituren vor, und diese zwei Chromosomensätze können miteinander übereinstimmen oder nicht übereinstimmen. Danach haben wir ja unterschieden zwischen homozygoten und heterozygoten Lebewesen, zwischen „gleich gepaart“ und „ungleich gepaart“. Diese Unterscheidung kann man bei der Drohne keineswegs machen. Die Drohne kann sicher nie heterozygot, also nie ungleich gepaart sein, sie kann aber auch nie eigentlich homozygot, gleichgepaart sein. Denn es liegt nicht ein Paar von Chromosomengarnituren vor, sondern nur eine einzige Garnitur; es kommen keine Chromosomenpaarlinge vor, sondern nur Einzelchromosomen, und es kommen keine Erbfaktoren- (Gen-) Paare vor, sondern nur Einzelgene. Verfasser hält es für das Beste, sie azygot zu nennen, auf deutsch „ungepaart“. Der bezeichnende Mangel einer zweiten Garnitur, eines Chromosomenpaarlings, eines Erbfaktorgenossen, scheint ihm dadurch klar zum Ausdruck zu kommen; denn die Chromosomengarnitur, aber auch das Einzelchromosom und demnach auch der einzelne Erbfaktor, ist hier vereinsamt und ledig, also ungepaart.
Ein in einer Eigenschaft, z.B. der Rückenfarbe, heterozygotes Lebewesen ist hinsichtlich der Rückenfarbe ein Mischling (ob das äußerlich sichtbar ist oder nicht) und vererbt auch diese Rückenfarbe nicht rein. Ein hinsichtlich der Rückenfarbe homozygotes Lebewesen ist zwar nicht rassenrein schlechtweg, vererbt aber wenigstens die Rückenfarbe rein. Die Drohne kann hinsichtlich keines Merkmalspaares ein Mischling sein, weil eben nie Erbfaktorenpaare auftreten. Also Mischlingsfarben, etwa dem Rosa bei Mirabilis entsprechend, können bei der Drohne nie vorkommen, und von einem Aufspalten solcher eigentlicher Mischlingsformen in ihre Grundfarben kann natürlich keine Rede sein.
Wir fanden oben, daß nur in einem Falle sämtliche Keimzellen eines Lebewesens unter sich vollkommen gleich sind, dann nämlich, wenn dieses Lebewesen in seinen sämtlichen (zahlreichen) Erbfaktoren rein ist, — ein Fall, der zwar denkbar, in der Natur [Bei („obligat allogamen“) Lebewesen ohne Selbstbefruchtung oder Inzucht.]) aber kaum je verwirklicht ist. Bei der Drohne ist dieser Fall das Normlale. Bei der Drohne sind sämtliche Keimzellen völlig gleich. Mögen im rückwärtigen Stammbaum noch so viele Bastardierungen vorgekommen sein, wenn wir nur auf die Keimzelle der Drohne sehen, also auf das, was sie der Nachkommenschaft mitgibt, so ist sie absolut rassenrein. Die Erbformel aller ihrer Keimzellen ist genau die gleiche; alle ihre Keimzellen sind isogen.
Die Drohne besitzt nur die halbe (haploide) Chromosomenzahl, ihr Erbgut ist azygot, all ihre Keimzellcn sind isogen.
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ererbungsstetigkeit beim Bienenfall.
Das Merkwürdige des Falles zeigt uns die konkrete Überlegung: Irgendeine Bastardkönigin legte ein Ei in eine Drohnenzelle. Es reift heran, bleibt unbefruchtet und enthält die Erbfaktorengarnitur G. Daraus entsteht eine Drohne vom Genotypus G. Diese Drohne bildet reichlich eine halbe Milliarde Spermien, und von diesen 500 Millionen Spermien, die alle vom gleichen Genotypus sind, treten etwa 200 Millionen bei der Befruchtung über in das Rezeptaculum seminis der jungbefruchteten Königin. Die Drohne spielt eigentlich eine bescheidene Rolle bei der Vererbung. Sie schafft vor allem gar nichts Neues; sie gibt nur genau das, was sie erhalten hat, weiter, nur daß sie es erst noch stark vervielfältigt hat. Der Musiker (Königin) setzt aus ein paar Notenzeichen (Erbfaktoren) ein Notenblatt, eines von den vielen, die er komponieren kann, zusammen, ein Notenblatt, in dem eine kunstvolle Melodie (Phänotypus) schlummert. Eine Vervielfältigungsanstalt stellt einige tausend Abzüge des Notenblattes her und bringt sie unter das Volk. Die musikalische Leistung dieser Anstalt ist gering trotz der vielen Blätter. Die Drohne ist sozusagen nur solch eine Vervielfältigungsanstalt.
Bei den Lebewesen, bei denen die Männchen sich dem Erbgute nach von den Weibchen nicht unterscheiden, wäre ein anderer Vergleich am Platze. Dort sind es zwei Musiker, welche beide unermüdlich mit den gleichen Notenzeichen vielgestaltige Melodien (Phänotypen) polyphon (zwei Chromosomengarnituren) komponieren. Ihre unerschöpfliche Fruchtbarkeit ist so groß, daß auch ohne Vervielfältigungsanstalt das Volk reichlich versorgt wird. Von den zahllosen Notenblättern, die sie aufzeichnen (Befruchtungsmöglichkeiten) werden wohl viele sich stückweise ähneln oder gleichen (isogene Keimzellen, isogen hinsichtlich einiger Merkmale). Aber es wäre ein außergewöhnlicher Zufall, wenn auch nur zwei ihrer Kunstgaben sich in allen Teilen glichen (isogene Keimzellen hinsichtlich sämtlicher Faktoren).
Bei all unseren Abbildungen haben wir scharf unterscheiden können P-, F1– F2– F3– usw. Generationen. Bei allen Generationen konnten wir, besonders auf Abb. 10 und 14, unterscheiden drei für die Vererbung wichtige Schritte, den Schritt A (gewöhnlich Chromosomenausstattung genannt), der die Gene in ihrer neuen Paarung zeigt, also die Faktorenpaare in Homozygotie oder Heterozygotie, den Schritt B oder die Reduktionsteilung, welcher die Chromosomengarnituren in ihrer neuen Zusammenstellung (Garnituraufstellung) vorführt und namentlich die neue Kombination der Erbfaktoren (Gen–Kombination) voraussehen läßt, endlich den Schritt C, der die reifen Keimzellen und die Befruchtungsmöglichkeiten, also die neuen möglichen Keimzellenkombinationen oder besser Gametenkombinationen (Gameten = reife Keimzellen). Bei der Drohne ist das stark abgeändert. Es fehlt die Faktorenpaarung vollständig (weil die Befruchtung fehlt). Damit ist die Garnituraufstellung unmöglich und erst recht die Genkombination (Schwierigkeiten, welche die Erforschung und Deutung der Zellvorgänge bereiten, verursachen vielleicht auch einige Schwierigkeit in der Deutung des Erbfalles bei der Drohne, die zu erörtern aber hier nicht der Platz ist).
Bei den Abbildungen sind die männlichen Hälften links im wesentlichen gleich den weiblichen Hälften rechts. Bei den Bienen fällt die linke männliche Seite fast ganz fort. Vor allem fällt die männliche F1-Generation schon weg, denn alles, was aus der Kreuzung zweier P-Tiere hervorgeht, sind nur weibliche Tiere. Die Stelle der F1-Männchen bleibt also frei. Bei allen unseren Abbildungen war eine Männchen- und Weibchengeneration das Ergebnis der Kreuzung aus der darüberstehenden Generation. Aus einer Kreuzung entstehen aber bei der Biene direkt nie Männchen.
Es wurde wiederholt schon darauf hingewiesen, daß bei der Biene ein Weibchen nie von mehreren Männchen befruchtet wird wie in anderen Zuchtbetrieben, sondern zeitlebens nur von einem Männchen, daß andererseits aber die Königin nicht nur einen Wurf, ein Gelege Eier legt, sondern fast beliebig viele. Noch viel merkwürdiger ist es aber, daß die Bienenkönigin bei der Begattung nicht nur Millionen Spermien von demselben Männchen aufnimmt, sondern daß an diese Spermien unter sich genotypisch vollständig gleich sind.
Bei den übrigen Lebewesen werden die Erbfaktoren von Generation zu Generation neu durcheinandergewürfelt, neu kombiniert. Bei der Biene, ist es anders. Die Eier einer landläufigen Königin K, die in ca. 600 Drohnenzellen gelegt werden, erhielten ihre Faktoren eben erst neu kombiniert und dürften alle sämtliche verschiedene Faktorengruppierungen genotypisch aufweisen. Dann aber bleiben sie in dieser Kombination für eine sehr lange erlebnisreiche Zeit erhalten, nämlich während der Zeit des Heranwachsens zu Drohnen, während der „Reifung“ der Keimzellen in den Drohnen (die cytologisch und vererbungstheoretisch eine ganz andere ist als die eigentliche Reifung in der Organismenwelt), während des Begattungsfluges, während der Sammlung in der Samenblase der neubefruchteten Königin L und dann noch während der langen Lebenszeit dieser Königin L, die ja bis zu 5 Jahren dauert. In dieser Zeit ist die Königin K schon längst gestorben, und in ihrer weiblichen Nachkommenschaft kann sie es bis zur 10. Generation bis zu F10 gebracht haben.
Nach all dem Genannten spielt die Neukombination von Erbfaktoren bei der Biene eine viel geringere Rolle.
Beim Erbgang der Biene ist mehr Stetigkeit und weniger Wechsel in den Genotypen. Identische Genotypen und absolute Reinrassigkeit kommen häufig vor.
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rbgut-Studium ohne Kreuzung.
Natürlich fehlen die Kombinationen deswegen nicht gänzlich. Sowohl Männchen wie Weibchen können durch Neukombinationen entstehen, aber beide Fälle sind wiederuml sehr eigentümlich gelagert. Wenn die Königin K im Laufe des Sommers in den 600 Drohnenzellen ca. 1000 Söhne bekommt, dann sind von all diesen Söhnen, sobald wir all ihre Eigenschaften berücksichtigen, gewiß höchstens vereinzelte einander gleich. Wenn wir nur auf die Farbe der Hinterleibsringe sehen, dann mögen viele einander gleich sein. Würden dann die gleichen zu Gruppen zusammengefaßt, dann hätte man eine äußerst lehrreiche Zusammenstellung. Die Drohnen sind ja die personifizierten reifen Keimzellen (Gameten) der Mutter, und so viel Gruppen wir hinsichtlich der Farbe erhielten, so viel verschiedene reife Keimzellen (verschieden hinsichtlich der Farbe) hätte die Königin gebildet; in der Mannigfaltigkeit der Drohnenschar breitet die Königin die Mannigfaltigkeit ihres Erbgutes vor unseren Augen aus.
Die Mannigfaltigkeit der Arbeiterinnen, der weiblichen Nachkommenschaft, unserer Königin K mag größer sein, aber auch bei ihnen ist die Mannigfaltigkeit beschränkt. Die vielen Eier aus Arbeiterinnen- und Königinnenzellen enthalten nicht nur eine neukombinierte Chromosomengarnitur, die von der Mutter stammt, sondern auch eine Chromosomengarnitur vorn Vater. Im Augenblick nämlich, wo sie im Eileiter an der Samenblase der Königin K vorbeigleiten. Aber alle Samenfäden, die aus der Samenblase zugeführt werden, haben ja erblich genau die gleiche Beschaffenheit. Würden wir den gemeinsamen Genotypus dieser Samenfäden kennen, dann wären wir imstande, diesen Genotypus bei den Eiern sozusagen hinwegzudenken, und dann bliebe wieder die Gesamtheit der reifen Keimzellen übrig, welche die Königin K bilden kann. Jedenfalls alle Unterschiede, welche die weibliche Nachkommenschaft der Königin K aufweisen, sind letzten Endes ausschließlich verursacht durch die Verschiedenheit in den reifen Keimzellen der Königin K.
Umgekehrt, da wir das Erbgut der Königin K aus ihren Söhnen ersehen können, ist es nicht gar zu schwer, durch vergleichende Musterung auch der Töchterschar von K hinter das Erbgut der Gatten Drohne zu kommen, die, von niemand gesehen, im Blau der Luft einst die Königin K begattet hatte. Merkwürdig beim Vererbungsfall der Biene ist, daß die weiblichen Tiere, die mit der Lebenslage am meisten in Berührung kommen, die Arbeiterinnen, sich nicht fortpflanzen und die Königin weibliche Eigenschaften und Instinkte von bewundernswerter Art vererbt, ohne daß sie selbst dieselben je betätigt hätte. Sehr bezeichnend ist vor allem, daß wir auf der einen Seite Tiere haben (Drohnen), die ihr Erbgut kaum verbergen können, auf der anderen Seite Tiere (Königinnen), die man ohne Bastardierung (die große Errungenschaft Mendels) mit einem bekannten Tier, ja sogar überhaupt ohne Begattung, veranlassen kann, ihr Erbgut uns zu zeigen.
Günstig ist dabei vor allem noch, daß die Zahl der Nachkommen für zoologische Verhältnisse ganz ansehnlich ist.
Das Vorkommen einer doppelten Vererbungsweise, der gewöhnlichen bei den weiblichen Bienen und der azygoten bei den Drohnen, macht den Vererbungsfall der Biene so lehrreich.