Bienenzüchtungskunde
Theodor Fisher Verlag
1919
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ber Akklimatisation
So unlieb diese Erkenntnis für den Züchter sein mag, der gerne Mutationen und andere Besonderheiten auftreten sehen möchte: an das ist für die züchterische Praxis von großer Bedeutung. Es folgt, daß, wenn auch ein Zuchtvolk schlimme Tage durchmachen muß, so leidet die Zukunftshoffnung des Züchters, die Bienenjugend nur stark mittelbar, also in stark abgeschwächtem Maße unter der Ungunst der Lebenslage.
Zum Entgelt mag sich der Forscher etwa an Einsiedlerbienen halten, deren Brut unter den verschiedensten Außeneinflüssen heranwachsen kann (vgl. z.B. Armbruster 1913, insbesondere Tabelle 14), oder an Hummeln (Armbruster 1915 und 1917), schließlich auch an gewisse Wespenarten.
Wenn bei den Hummeln der einzelnen Gebirgs- und der einzelnen Steppengebiete, die sehr weit auseinander liegen, gewisse Farbeneigentümlichkeiten offenbar unabhängig voneinander aufgetreten sind, und zwar auffallend ähnliche Farbeneigentümlichkeiten, dann mag man an Mutationen denken; gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen.
Wenn in südlichen Ländern mit ihren ganz verschobenen klimatischen Perioden (anderer Jahreszeitenfolge) gewisse Instinkte des sozialen Lebens ein ganz fremdartiges Gepräge annehmen, dann kann man auch hier an Mutationen als Ursachen, wenn auch nicht als ausschließliche, denken. So leben die Hummeln des hohen Nordens fast einsiedlerisch, die des südlichen Amerikas in starken Staaten, die sehr wehrhaft sind und schwärmen. Über all dem vergesse man nicht, was das früher erwähnte Beispiel vom verpflanzten Löwenzahn lehrte, und das, was oben gesagt wurde über die Vererbung des Spielraums. Daß auch Modifikationen hier mitspielen, steht außer Zweifel.
Wir sprachen oben von einem Zeitalter der Akklimatisation, als wir die früheren Bienenzüchtungsbestrebungen behandelten. Wenn nach dem Gesagten die Hummeln möglicherweise einigermaßen akklimatisiert werden können, läßt sich dann auch ein Bienenvolk akklimatisieren?
Wir können unterscheiden zwischen einheimischen Bienen, etwa Bienen des deutschen Sprachgebietes, und Importbienen.
I. Einheimische Bienen müssen sich akklimatisieren, wenn man Gebirgsbienen, z.B. gewisse Krainer, in die Ebene bringt und umgekehrt. Hier ist nicht zu leugnen, daß die Lebenslage verändert wird:
1. Im Gebirge (und etwa auch in Landstrichen mit sehr langem Winter) wird die Winterruhe ganz erheblich ausgedehnt und das eigentliche Bienenjahr (etwa die Zeit vom Bestiften der Drohnenzellen bis Trachtschluß) sehr verkürzt. Die Rückwirkung wird eine doppelte sein:
- Das rauhe Klima wird auslesen, sichten unter den Bienen, die etwa erblich verschieden winterhart sind; die in dieser Hinsicht ungünstig veranlagten Stämme werden aussterben. Das rauhe Klima wird ferner noch zur Folge haben, daß nicht mehr als eine Schwarmperiode vorhanden ist, das heißt, daß ein Schwarm im gleichen Jahre nicht noch einmal Gelegenheit zum Schwärmen bekommt. Wenn unter diesen Gebirgsbienen ein erblich schwarmlustiger Schlag vorhanden wäre, dann hat dieser nicht besonders gute Gelegenheit, sich ausnehmend stark zu vermehren.
- Wenn irgendwo, dann scheint mir hier Gelegenheit zur Entstehung von Mutationen gegeben zu sein. Beobachtungen liegen aber leider noch keine vor, und eigene Versuche hierüber befinden sich noch ganz in den Anfangsstadien.
2. In der Ebene, in Strichen mit langem Bienenjahr, mit stark verlängerter Trachtzeit und mildem, kurzem Winter, können klimatisch wenig abgehärtete Bienenstämme ihr Leben fristen. Kommt noch dazu, daß die Trachtzeit, wie in der Lüneburger Heide, künstlich verlängert wird durch Wandern oder Triebfütterung im Frühjahr und den Bienen nicht weniger als drei Schwarmperioden, Anfang Mai, im Juli und im August, zur Verfügung stehen, dann werden Völker, die erblich schwarmlustig sind, Gelegenheit haben, sich auf Kosten der schwarmträgen fast uneingeschränkt zu vermehren, stark unabhängig von der Art der Bienenwohnung. Es können überdies noch andere Einwirkungen der Lebenslage sich geltend machen, nämlich Besonderheiten in der Ernährung. Man denke an den Buchweizen und Heidehonig, schließlich auch an den Blatt- und Tannenhonig, gegenüber den gewöhnlichen Blütenhonigen. Es wäre gewiß denkbar, daß all dies zusammen auch das Auftreten von Mutationen befördern könnte.
Gewisse Eigentümlichkeiten der Heidebiene lassen sich vielleicht auf diese Weise erklären. Die Heimat, also die Lebenslage der Krainerbiene, ist nach Klima und Tracht offenbar viel weniger einheitlich; dasselbe gilt von der „Italiener“ biene. —
II. Von den Importbienen mögen hier besonders die sogenannten zyprischen, ägyptischen und kalifornischen Bienen erwähnt werden. Klima und Niederschlagsverhältnisse dieser Fremdländer sind einigermaßen einheitlich, von den unsrigen jedenfalls deutlicher verschieden. Die stark südliche marine Lage bedingt warme Sommer und ganz milde eigenartige Winter. Erblich schwarmeifrige Bienenstämme können sich stark auf Kosten der schwarmträgen vermehren; schon deswegen könnten sich diese Importbienen tatsächlich von den einheimischen Landrassen erblich unterscheiden, und zwar in einer für den deutschen Züchter unliebsamen Weise. Die Kalifornierbienen (um nur diese Amerikaner heranzuziehen) sind zwar von Hause aus Europäer, durch Auslese einerseits und eventuelles Auftreten von Mutationen andererseits könnten sie sich aber in den letzten 60 Jahren (in den Händen der Handelszüchter!) immerhin verändert haben.
Daß in an diesen warmen Gegenden Bienen mit geringer Winterhärte ganz wohl davonkommen, ist klar, und es ist geradezu wahrscheinlich, daß sie durchschnittlich weniger winterhart sind als die landläufigen Rassen bei uns. Die Klagen der Züchter seit VOGEL bis heute wären also wohlverständlich. Die eingeführten Tropenkinder der stachellosen Bienen lassen sich ja auch nur mit großer Mühe durch unseren Winter bringen.
Ob die Farbe der Bienen wohl auch mit dem Klima oder sonstwie mit der Lebenslage zusammenhängt ? Man könnte hier zwar anführen (auch der findige W. Wankler äußerte sich in ähnlicher Weise dem Verfasser gegenüber; vgl. ferner J. Lüftenegger 1918, Die Grundlagen der Bienenzucht. Innsbruck S. 158f.): Die südliche Biene, insbesondere die wie mit Mehl bepuderte ägyptische Biene, sind durch ihre helle Farbe gegen die starke Einwirkung der südlichen Sonne geschützt, und umgekehrt: unsere schwarze Biene kann sich besser im Frühjahr und Herbst behaglich sonnen; das Klima züchtet also dort helle und hier dunkle Bienen. Allein man könnte auf die helle Behaarung der Krainerbienen hinweisen, die ja mehr Gebirgsbiene ist, ferner auf die umgekehrten Farben beim Menschen (Neger und Weiße), und auf alle Fälle wäre der Zusammenhang zwischen heller Farbe und Schwarmlust nur ein sehr indirekter äußerlicher; von einer Faktorenkoppelung könnte natürlich deswegen noch nicht die Rede sein.
Gesetzt den Fall nun, die Tiere dieser fremden Länder seien so, wie sie durchschnittlich sind, für uns weniger brauchbar, sie seien also durchschnittlich schwarmlustiger und durchschnittlich weniger winterhart, so bleibt doch bestehen, was oben im Kapitel vom Wert der Zufuhr von Zigeunerblut gesagt wurde. Wenn die fremden Bienen Schattenseiten haben, so können sie ganz gut auch Lichtseiten aufweisen. Wenn man kreuzt und Kombinationszucht treibt, hat man ohne Zweifel die Möglichkeit, eingesessene Mängel anderer Rassen zu zersprengen, bessere Eigenschaften an Stelle der weniger guten zu setzen. Man hat reichere Aufspaltungen, reichere Auswahl und unter Umständen Gelegenheit, die guten Eigenschaften noch zu steigern.
Es war viel Sport und Liebhaberei, vielleicht auch Neugier bei den Akklimatisationsbestrebungen der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die rührigen Leute von damals ließen sich aber auch ohne Zweifel von einem gesunden Gefühl, von einem zwar nicht ganz klaren, jedenfalls aber nicht ganz falschen Gedanken leiten:
Man kann das Gute, das naheliegt, schätzen und darf trotzdem in die Ferne schweifen.
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ie Natur als Bienenzüchterin
Schon im vorstehenden wurden wir inne, wie die Natur auch in der Rolle der Züchterin auftritt, nicht nur in fremden Ländern, sondern auch bei uns. Sie hilft dem Bienenzüchter bei seinen Züchtungsbestrebungen; sie schafft ihm aber auch entgegen.
Umgekehrt der Bienenvater, der seine Bienen nach guter Vätersitte hält, ohne sich um Zuchtbestrebungen zu kümmern, der arbeitet der Natur, soweit sie ihm helfen will, entgegen, und da, wo sie ihn schädigen will, da unterstützt er sie zu seinem eigenen Schaden.
a) Unter den Zuchtzielen für Imker ohne ausgesprochene Spättracht steht obenan die Schwarmträgheit.
Der Imker nun, der Mobilimker sowohl wie insbesondere der Stabilimker, der in keiner Weise sich züchterisch betätigt, überläßt die Vermehrung ganz der Natur. Auf natürliche Volksvermehrung ist er angewiesen; denn er ersetzt keine alte Königin. Darum hat er von Zeit zu Zeit weisellose Völker. Er hätte sie auch schon deswegen, weil das stille Umweiseln oder die Begattung und Rückkehr einer jungen Nachschwarmkönigin manchmal mißglückt. Dieser Bienenzüchter ist also darauf angewiesen, die Bienen schwärmen zu lassen, wenigstens von Zeit zu Zeit. Welche Bienen werden aber nun schwärmen ? Offenbar die, welche erblich am meisten dazu neigen. Der Nachwuchs des Standes besteht also immer aus Nachkommen von schwarmeifrigen Rassen. Bald wird die Luft dann auch erfüllt sein von Drohnen dieser Sorte. Die Erbanlagen für Schwarmlust werden also bald bei allen Stockmüttern homozygot oder heterozygot vertreten sein.
Anders der Imker- Züch ter. Er arbeitet hier der Natur glücklich entgegen, indem er schwarmeifrige oder doch brutlustige Völker höchstens als Pflegevölker benützt, die Drohnenbrut in diesen Völkern unterdrückt, die wilden Weiselzellen, d.h. die stockeigenen Produkte der Schwarmlust, entfernt und (künstliche) Zellen mit Larven aus schwarmträgen Stöcken unterschiebt. Er kann seine Völker vermehren, wenn und wann er will, durch Kunstschwärme usw., er kann nackte Völker veredeln durch selbstgezogene Edelköniginnen, deren „schwarmträge“ Abstammung er kennt, und er kann beizeiten die alternden Königinnen durch geeignete neue ersetzen.
b) Ist der Imker wiederum nur Bienenvater, der seine Tiere liebevoll hegt und pflegt, dann kann er der Natur entgegenarbeiten da, wo sie zu seinem Nutzen züchtet bezw. sichtet. Jedesmal, wenn auf ein kärgliches Trachtjahr ein harter Winter folgt, hält die Natur Auslese zum Vorteil unserer Bienenschläge im großen, zum Leidwesen vielleicht des Bienenvaters im einzelnen. Schwächlinge, besonders die (gegen Winter und Krankheiten) erblich veranlagten Schwächlinge würde die Natur auszumerzen imstande sein.
Bei unserer hochentwickelten Bienenpflege, insbesondere bei der Zucht auf beweglichen Waben, vermögen wir jedoch auch Schwächlinge durch den Winter zu bringen. Hat ein Schwächling nicht genügend Wintervorräte, dann wird mit künstlichem Futter nachgeholfen; hat er weniger geeigneten Honig, wird dieser ausgeschleudert und durch harmloses Zuckerwasser ersetzt. Der Schwächling wird eingeengt, verstärkt, warm gefüttert, wohlverpackt und notgefüttert, so daß er glücklich das nächste Jahr erlebt und wiederum Schwächlinge in die Welt setzen kann. Ähnlich bei Schlägen, die gegen Krankheiten erblich wenig widerstandsfähig sind.
Der richtige Züchter ist hier nicht zu weichherzig. Der Schaden solch einer Stockvermehrung ist vermieden und der Ausfall ist im nächsten Jahre leicht gedeckt, wenn er einen Kunstschwarm mehr macht; auch ist dann der Zucker, der an die Schwächlinge doch nur zum Schaden des Bienenstandes vergeudet wäre, viel besser angewendet. Also (Armbruster 1917):
Überläßt der Bienenpfleger (Heideimkerei ausgenommen) alles der Natur, verbindet die rationelle Bienenzucht mit dem Mobilbau nicht auch züchterische Bestrebungen, so bleibt sie auf halbem Wege stehen.
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ie Drohne als personifizierter Gamet
Die großen Errungenschaften der exakten Vererbungsforschung gaben uns im vorstehenden schon gar mannigfache wichtige Richtlinien für die Züchtung unseres Nutztieres, der Biene. Nun ist es Zeit festzustellen, daß die Honigbiene eine höchst merkwürdige Ausnahmestellung einnimmt in der Gruppe von Vererbungsversuchen und Vererbungsfragen, die man den Mendelismus nennt.
MENDELs glücklichste Tat bestand darin, daß er von reinen homozygoten Lebewesen ausging und mit Bastardierung (Kreuzung) von erblich verschiedenen Lebewesen begann, in die Reihe seiner Befruchtungen aber schon an zweiter Stelle eine Selbstbefruchtung einschaltete, und zwar bei einem heterozygoten Lebewesen. Die Selbstbefruchtung (bezw. Inzucht) von unansehnlichen Heterozygoten bringt ja das große Ereignis der farbenprächtigen Mendelschen Aufspaltung, das mit seinen Zahlenkünsten auf den Forschergeist so herausfordernd wirkt und zur Wiederholung des Verfahrens (geeigneter Inzucht) geradezu verführt.
Bei der Biene nun ist das Wesentliche hiervon — soll man sagen: leider? — einfach unmöglich. Bei der Biene, können wir darum den Vererbungsgang niemals so übersichtlich und einleuchtend zusammenstellen wie beim Mirabilis-, Schnecken- oder
Löwenmaulbeispiel. Wir können zwar beginnen, zwei Bienenrassen, die sich in einem Merkmal unterscheiden, und von denen wir voraussetzen dürfen, daß sie rein homozygot sind, zu kreuzen. Wir erhalten eine F1-Generation. Aber damit ist leider, und zwar leider an der interessantesten Stelle, schon Schluß; denn schon fehlen die geeigneten Männchen.
Allein um diesen Mangel richtig zu verstehen, mußten wir oben in einer zunächst vielleicht unnötig erscheinenden Ausführlichkeit handeln von den Chromosomen und der Reifungsteilung.
Das Ei, aus dem eine Drohne hervorgeht, ist nicht befruchtet. Es wird abgelegt, ohne daß eine Sperma in dasselbe eingedrungen wäre. Trotzdem macht es, auf dem Boden der Drohnenzelle festgeklebt, die Reifungsteilung durch; die Zahl der Chromosomen wird auf die Hälfte herabgesetzt, die Chromosomenpaare werden getrennt; wir haben demnach eine Keimzelle vor uns, die nur noch einen einzigen Satz von Vererbungsträgern besitzt. Bei Eiern, aus denen weibliche Bienen entstehen, wird dieser eine Satz von Vererbungsträgern ergänzt zu einem Doppelsatz, indem durch das Sperma der vom Vater kommende gereifte Chromosomensatz eingeführt wird. Diese Ergänzung auf den Doppelsatz, auf die doppelte Garnitur fällt weg beim Ei in der Drohnenzelle.
Das Ei auf dem Boden der Drohnenzelle ist also eine gereifte weibliche Keimzelle, die ohne weiteres sich zu einer normalen Drohne entwickelt, und man kann also die Drohne als einen personifizierten Gameten (Gamet = gereifte Keimzelle) bezeichnen (Armbruster 1917). Die Drohne hat, wie eine gereifte Keimzelle, nur eine Chromosomengarnitur.
Das Erbgut der Drohne ist während ihres ganzen Lebens nicht verschieden vom Erbgut der einen gereiften Keimzelle, aus der sie entstand.