Bienenzüchtungskunde
Theodor Fisher Verlag
1919
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nzertrennbare Eigenschaften
Zunächst wollen wir einige Ausnahmen kennenlernen, also Fälle, wo 1. eine Eigenschaft mit einer anderen auf Gedeih und Verderb untrennbar verbunden erscheinen, und sodann Fälle, wo 2. Eigenschaften sich bis jetzt nie miteinander kombinieren ließen.
Mehr oder weniger gute Beispiele zu dem Falle 1 sind vielfach bekannt. Darwin macht neben vielen anderen Beispielen darauf aufmerksam, daß bei Katzen Taubheit und blaue Augen (ein Farbenmerkmal und ein physiologisches) immer insofern beisammen auftreten, als alle Katzen mit blauen Augen auch taub sind und Katzen mit einseitig blauem Auge einseitig (auf der gleichen Seite!) mit Taubheit geschlagen sind.
MENDEL fand, daß bei den Erbsen, deren Blüten gefärbt sind, auch die Samenschalen farbig werden. Bei Brombeeren fand man, daß die Eigenschaft geschlitzte Laubblätter und geschlitzte Blütenblätter immer beisammen vorkommen.
Wenn auch das Darwinsche Katzenbeispiel nicht so leicht zu erklären sein wird, so legt sich bei den übrigen drei Fällen die Vermutung sehr nahe: die betreffenden Eigenschaftspaare gehen deswegen Hand in Hand, weil sie von ein und demselben Erbfaktor bewirkt werden. Ein Faktor für Färbung macht sich geltend erst an der Blüte, später dann an der Samenschale: der Faktor für geschlitzte Blätter an den Laubblättern und später auch an den Blütenblättern. Schließlich kann derselbe Faktor, der bei den Mäusen die Farbe der Haarspitzen beeinflußt, bei den gelben Mäusen auch die Farbe der Augen (schwarz) beeinflussen. Wir müssen uns eben klar sein: zwischen dem Vorhandensein eines Erbfaktors in der werdenden Keimzelle bis zur vollen Auswirkung seiner geheimnisvollen Fähigkeiten in dem erwachsenen Tier ist ein weiter Weg, über dem sehr viel Dunkel lagert. Daß ein Erbfaktor auf sehr viele Teile des Organismus wirkt, ist wahrscheinlicher als das Gegenteil.
Eine Reihe von Erscheinungen muß aber anders erklärt werden. Zu der etwa irgendwo auftauchenden Idee: schwarze Farbe und Schwarmträgheit (bez. Honigeifer) würden von ein und demselben Erbfaktor verursacht, könnten gar keine Gründe dafür, gar manche dagegen angeführt werden.
Man wurde auf Besonderheiten im Zusammenhang zweier Eigenschaften aufmerksam, als man bei der Aufspaltung nicht die vorberechneten Zahlenverhältnisse erhielt (siehe S. 68 die Baursche Bastardierungstabelle), sondern andere nicht gerade willkürliche, aber deutlich abweichende. Diese Ausnahmen stellten die Mendelschen Gesetze auf eine Probe, und manche meinten schon, außer der Mendelschen Vererbung gäbe es auch noch andere Vererbungsgesetze. Der Mendelismus bestand diese Probe in so schöner Weise, daß manche Forscher sich auf scheinbare Ausnahmen fast mehr freuten als auf die regelrechten Fälle, denn alle scheinbaren Ausnahmen ließen sich auf das schönste in die alten Regeln einordnen. Es sei dies eigens hervorgehoben, weil man in der Züchterliteratur, auch in der imkerischen, noch manchmal lesen kann, die mendelschen Entdeckungen hingen überhaupt noch stark in der Luft. Das ist, wie gesagt, keineswegs der Fall.
Dem Botaniker de Vries ist es nicht gelungen, an der Nachtkerze Oenothera rubrinervis die Eigenschaft Behaarung von der Eigenschaft Rote Blattnerven zu trennen. Wenn man hier Grund hat anzunehmen, es handle sich um zwei Erbfaktoren, die im gleichen Chromosom ihren Sitz haben, dann haben wir einen einfachen Schlüssel für das Geheimnis. In mehreren Fällen, z.B. beim Garten-Löwenmaul und bei der Erbse, fand man, daß schon zahlreichere Erbfaktoren als Chromosomen bei der betreffenden Pflanze vorhanden sind. Baur hat z.B. beim Löwenmaul schon ungefähr 30 Erbfaktoren festgestellt, während das Löwenmaul nur halbsoviel Chromosomen aufweist, nämlich nicht mehr als 15. Es ist darum ganz selbstverständlich, daß in einem Chromosom oft mehrere, ja zahlreiche Erbfaktoren sitzen. Sobald aber zwei Außeneigenschaften verursacht sind durch zwei Erbfaktoren, die im gleichen Chromosomen sitzen, dann müssen diese Eigenschaften immer Hand in Hand gehen und auch beim Aufspalten unzertrennbar beisammenbleiben. Denn bei der Reduktionsteilung werden normalerweise nur die Chromosomenpaare getrennt, nicht jedoch einzelne Chromosomen zerbrochen und ebenfalls aufgeteilt (höchst lehrreiche Ausnahmen bei der Taufliege Drosophila).
Solche unzertrennbare Eigenschaften, beruhend auf Vereinigung der betreffenden Erbfaktoren im gleichen Chromosom, auf Faktorenkoppelung, wie man sagt, sind theoretisch nicht nur möglich, sondern bis zu einem gewissen Grade notwendigerweise zu erwarten. In der Tat hat man gerade bei den Organismen, die am meisten auf Erbfaktoren untersucht sind, nicht wenige solcher Faktorenkoppelungen feststellen können, so besonders an der Pflanze Antirrhinum (Löwenmaul) und bei dem Insekt Drosophila [Die ca. 150 festgestellten Erbfaktorenpaare verteilen sich auf nur 5 Chromosomenpaare Im Chromosomenpaar, das die Geschlechtsfaktoren mit sich führt, müssen noch mindestens 50 Gen-Paare verkoppelt sein (S. unter Nachtsheim 1919)].
Auf etwas ganz Ähnlichem beruht auch ein höchst merkwürdiges Hand-in-Hand-Gehen gewisser (auf Genen beruhender) Krankheitsanlagen mit der Eigenschaft Männlichkeit. Männlich-weiblich ist nämlich ein Merkmalspaar, das offenbar auch mendelt. Das „Wie ?“ ist bei der Biene freilich dunkel, bei vielen anderen Organismen aber verhältnismäßig klar. Wenn bei der Drohne Eigenschaften wie die großen Augen und der Hinterleibsbart und gewisse Färbungseigentümlichkeiten immer Hand in Hand gehen mit der Eigenschaft Männlichkeit, so ist das nicht überraschend, es handelt sich hier um die sogenannten sekundären Geschlechtsmerkmale, wie beim Bart und bei der tiefen Stimme des Mannes. Anders geartet und in der Tat höchst sonderbar liegt der Fall, wenn z.B. beim Menschen die Anlage für Bluterkrankheit oder Anlage für Nachtblindheit mit der Eigenschaft Männlich Hand in Hand geht. Der Stammbaum der Abb. 17 zeigt z.B., wie in der zahlreichen, gut durchforschten Familie MAMPEL nie eine Frau an der Bluterkrankheitleidet (unter Bluterkrankheit versteht man die höchst bedenkliche Eigenschaft des Blutes gewisser Männer, an Wundstellen nicht alsbald ein Blutgerinnsel zu bilden, so daß bei geringfügigen Verletzungen die betreffenden Männer an Verblutung sterben).
Abb. 17. Stammbaum der Bluterfamilie Mampel. Nach Lossen aus Baur. Nur Männer wären bluterkrank (schwarz bezeichnet). Nur in einem Falle stammten beide Ehegatten aus der Familie Mampel (siehe unten links). Sonst stammte jeweils der eine Ehegatte aus gesunder Familie und ist daher im Stammbaum weggelassen. |
Daß schwarze Farbe aber bei Bienen stets mit Schwarmträgheit bez. Honigeifer zusammengekoppelt ist, das erscheint heute schon ausgeschlossen. Daß sie meist Hand in Hand geht, ist unwahrscheinlich. Wenn aber keine Koppelung stattfindet, dann wäre Trennung der beiden Eigenschaften züchterisch möglich, es müßten denn andersgeartete Verwicklungen vorliegen.
Unzertrennbare Eigenschaften, also Hindernisse für den Züchter, liegen dann vor, wenn:
- zwei Eigenschaften vom gleichen Erbfaktor abhängen oder
- mehrere Erbfaktoren (die Träger der fraglichen Eigenschaften) in einem einzigen Chromosom vereinigt sind;
- Verhältnisse vorliegen wie beim Levkojen-Beispiel, s. u. S. 80.
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cheinbar unzertrennbare Eigenschaften
In den genannten Sonderfällen waren zwei Eigenschaften schlechthin unzertrennlich, also stets beisammen. Nun gibt es Fälle, wo gewisse Eigenschaften zwar nicht stets, aber sehr häufig vereint erscheinen, deswegen, weil gewisse Phänotypen bei der Aufspaltung wesentlich häufiger auftreten, als sie nach dem Gesetz der Spaltungsproportionen (siehe Baurs Tabelle o. S. 68) auftreten sollten.
Es dürfte sich sehr wohl der Mühe lohnen, die Imker auf einen jetzt mehr und mehr geklärten Fall hinzuweisen, denn gewiß wird es zum Anlaß, daß man mit nüchternem scharfem Blick darauf achtet, ob auch bei der Biene solche Eigenschaftskoppelungen vorkommen. Vorsicht und Prüfung durch geschickte Zuchtversuche sind auf jeden Fall nötig, denn zahlreiche vermeintlich unzertrennbare Eigenschaftsverbindungen wurden durch Fachzüchter doch getrennt (besonders bei Schmetterlingen). Denn der Züchter kann mit seiner Wünschelrute: „ zielbewußte Inzucht und geschickte Kombinationszucht “ gar vieles erreichen.
Bei einem Versuch mit der spanischen Wicke Lathyrus odoratus fand eine Aufspaltung statt von:
737 | : | 31 | : | 31 | : | 225 |
Violett länglicher Pollen |
Violett runder Pollen |
Rot länglicher Pollen |
Rot runder Pollen |
Also Violett und Länglicher Pollen erscheinen außerordentlich häufig beisammen wie etwa auch andererseits Rot und Rundlicher Pollen. Eine Annahme macht dies erklärlich; oben z.B. S. 37 hatten wir vorausgesetzt, jede der vier Arten Keimzellen werde gleich oft gebildet, und darum sind alle vier möglichen Kombinationen gleich oft verwirklicht. Wenn wir hier statt dieser allgemeinen Voraussetzung eine besondere neue gelten lassen, ist alles erklärt. Gewisse Keimzellen, solche, in denen die Anlage für Violett und die Anlage für Länglichen Pollen beisammen sind, werden häufiger gebildet, und zwar in unserem Falle durchschnittlich fünfzehnmal so oft als andere Keimzellen (z.B. Keimzellen, bei denen Anlage zu Violett zusammentrifft mit Anlage für Runden Pollen usw.).
Daß ein auf diese Weise zu erklärender Zusammenhang zwischen schwarzer Biene und Schwarmträgheit bez. Honigeifer zu konstruieren ist, erscheint wiederum nichts weniger als wahrscheinlich. Bei der Bienenkönigin müßte es sich in vielen Fällen zeigen, daß gewisse Keimzellen selten, andere dagegen viel zu häufig gebildet werden, nämlich an ihrer Drohnennachkommenschaft; doch darüber später mehr.
Für den Züchter sind diese Fälle insofern wichtig, weil es hier unmöglich bez. sehr schwer ist, einerseits gewisse Eigenschaften zu trennen, andererseits gewisse Eigenschaften zusammen zu züchten.
Sicher oder wahrscheinlich unzertrennbare Eigenschaften sind bei der Biene bis jetzt nicht bekannt geworden. Schwarze Farbe und Schwarmträgheit sind offenbar trennbar.
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eweise für den Zusammenhang von Körperfarbe und Schwarmträgheit
Wenn der Verfasser hier im Gegensatz zur landläufigen Ansicht den Zusammenhang zwischen Körperfarbe und Schwarmträgheit bez. Honigeifer leugnet, so scheint ihm das deswegen weniger vermessen, weil Umstände namhaft zu machen sind, wie diese Ansicht aufkommen konnte.
Die scharfe Auslese ist nicht nur Pflicht für den Imker, sondern auch sein eigenes inneres Bedürfnis. Nach welchen Gesichtspunkten soll aber der Züchter, dem in den Weiselkäfigen eine Reihe von Königinnen ausgeschlüpft sind, auswählen? Worauf soll das Zentralvorstandsmitglied, das an einem schönen Nachmittage den zweistündigen Weg nach der Belegstation des Ortsvereins X macht, um Belegstation und Dröhnerich zu besichtigen, bei der Kontrolle achten? Vergleichsvölker, die ein Urteil zuließen, wie der Dröhnerich nach Bruteinschlag, Honig- und Pollenvorräten die Tracht ausnützt, fehlen an Ort und Stelle; um die wirtschaftlich wichtigsten Eigenschaften, wie z.B. die Schwarmträgheit an einer Königin bzw. an einem Volke beurteilen zu können, ist vielmonatliche Beobachtung unter schwierigen Bedingungen unerläßlich. Weil aber viele züchterische Maßnahmen bei den Bienen und anderwärts leider kein Zuwarten erlauben, suchte man nach äußeren Anzeichen für innere oder erst später sich offenbarende Eigenschaften. Bei dem Rindvieh z.B. und bei den Ziegen suchte man nach Milchzeichen, und wie man bei der Rinderzucht solche gefunden zu haben glaubte, etwa die Brusttiefe, so glaubte man bei den Bienen, die schwarze Farbe sei ein Zeichen der Schwarmträgheit.
Wenn man dann zudem noch schloß, die Biene ist im Gegensatz zur hellen die einheimische Biene, die Biene, die sich angepaßt hat an Tracht und Klima, so hat dieser Schluß, wie der Verfasser 1917 hervorhob, zwar viel Berechtigtes, gar manche Seiten an dieser Schlußfolgerung müssen wir aber weiter unten noch eingehender prüfen.
Aber man hört doch von Statistikern, daß die schwarzen Völker zahlenmäßig den andersfarbigen überlegen seien. Es ist sehr wohl möglich, daß Stände mit schwarzen Bienen deutlich größere Ernten haben als Stände mit Zigeunerblut. Im allgemeinen hat nun der Imker einen Stand mit schwarzen Bienen oder auch nur dauernd eine große Zahl dunkler Stöcke, der sich an den Zuchtbestrebungen der heutigen Imkerei beteiligt. Das ist aber ausgerechnet der intelligentere, rührigere, erfahrenere und daher erfolgreichere Teil der Imker. Es wäre daher noch sehr wohl möglich, daß nicht die schwarze Farbe die Ursache des Vorsprunges ist. Weil der Imker tüchtig ist, hat er einen Vorsprung, und weil er tüchtig und rührig ist, beteiligt er sich an den Züchtungsbestrebungen und hat demnach schwarze Bienen auf seinem Stand. Genau Ähnliches fand man bei Rindviehzüchtern, welche bei Milchleistung mit dem Meßstock züchteten, obwohl dort wissenschaftlich schon feststeht, daß zwischen bestimmten Körpermaßen (Milchzeichen, z.B. die Brusttiefe) und Milchleistung der Zusammenhang tatsächlich belanglos ist. Das sind Gesichtspunkte, die beileibe nicht alles erklären: aber waren sich dessen die Züchter bei der Wiedergabe ihrer Erfahrung stets bewußt, und haben die Theoretiker stets darauf geachtet, die diese Erfahrungen verwerteten?
Soviel vorerst zu dem Kapitel „Farbenzucht“ oder „Korrelation zwischen Farbe und Schwarmträgheit (Honigeifer)“ oder „Nur die schwarze Landrasse, fort mit den Importbienen, weg mit den Schecken!“
Es gibt (mehr zufällige) Zusammenhänge zwischen „Dunkler Farbe“ und „wirtschaftlich gut!“, die mit Vererbung nichts zu tun haben.