Armbruster 1919 — Bienenzüchtungkunde — 13 zu 15

Armbruster – 1919 – Bienenzüchtungkunde – Kapitel 13 – 15

 

Bienenzüchtungskunde

von Ludwig Armbruster
Theodor Fisher Verlag
1919

 

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ie einzige weibliche „Erbanlage“ bei der Bienenkönigin.

Der Vererbungsfall der Biene mit ihrem merkwürdigen Stammbaum hat hierbei sogar den Vererbungsforschern die Augen geöffnet.  Der große Zoologe Weismann glaubte zwar, das Bienenweibchen enthalte nicht nur zwei, sondern sogar drei „ Erbanlagen “, 1. Eine männliche Erbanlage, 2. Eine weibliche und 3. Eine Arbeiterinnenerbanlage.  Heute sieht man in diesen Dingen klarer.  Verfasser hat 1917 darauf hingewiesen, daß es sich mit der Anlage im befruchteten Bienenei ähnlich verhält, wie mit der Anlage in der chinesischen Primel.  Hier wird das Vermögen vererbt, auf Wärme mit weißer Farbe, auf normale Temperatur mit roter Farbe zu antworten.

Abbildung 4
Abb. 4.  Köpfe weiblicher Bienen nach vorangehender Bebrütung als …

  a d e f  
Arbeiterin 0,5–1  4,5  0,5–1,5  6   
Königin 4–4,5 1,5 2   = Tage
Arbeiterin 1–1,5  

a Königin,   f Arbeiterin,   d–e Übergangstiere.
Nach Klein 1904 (auch Klein 1918).

Der Spielraum weiß bis rot wird vererbt.  Dementsprechend wird im befruchteten Bienenei sozusagen der Spielraum „ Arbeiterin bis Königin “ vererbt: Auf eiweißreiche Larvennahrung antwortet der werdende Bienenorganismus mit Königinneneigenschaften, auf die pollenreichere Larvenkost mit Arbeiterinneneigenschaften.  Ist weder die eine noch die andere Nahrung ausgesprochen, läßt man z. B. die Larve erst in fortgeschrittenem Alter mit dem eigentümlichen Königinnenfutter ernähren (Nachschaffungszellen über 2-3tägigen Larven), dann entsteht ein Zwischending zwischen Königin und Arbeiterin, wie solche Klein in schönen Versuchen gezüchtet hat.

Dieses Beispiel ist für den Vererbungsforscher noch viel lehrreicher als das mit der chinesischen Primel.  Es zeigt weit schöner den überraschenden Einfluß der Lebenslage auf die endgültige Ausprägung der Erbanlagen.  Ein verhältnismäßig kleiner Unterschied in der Ernährung während ganz kurzer Zeit genügt, um den Körper in fast allen Teilen deutlich zu verändern.  Es genügt vor allem aber auch, das Instinktleben des einen Tieres gegenüber dem des andern fast auf den Kopf zu stellen.

Abbildung 5

Abb. 5.  Hinterbeine weiblicher Bienen nach vorangehender Bebrütung als …

  a b c d e f  
Arbeiterin 0,5–1 2,5–3,5  3,5   4,5  0,5–1,5  6   
Königin 4–4,5 2–2,5 2 1,5 2   = Tage
Arbeiterin 1–1,5  

a Königin,   f Arbeiterin,   b–e Übergangstiere.  Nach Klein 1904 (auch Klein 1918).

Der Imker weiß ja am besten den großen Unterschied zu ermessen zwischen der eigenbrödlerischen, eifersüchtigen Majestät, der es instinktmäßig gelingt, das Geschlecht ihrer Nachkommen zu bestimmen, und zwar bei einer Nachkommenschaft, deren tägliches Quantum (Gewicht der täglich abgelegten Eier) das Gewicht der Mutter um ein Vielfaches übertrifft, die trotz des entsprechenden Riesenappetits die Lebensspanne ihrer arbeitsreichen Kinder 25fach überleben kann, — und zwischen der selbstlosen Arbeiterin, die ihr Leben in tausenderlei ganz anders gearteten Künsten und Sorgen verzehrt, der Arbeiterin, die Weibchen ist, aber keine Mutter, dafür allerdings die beste Stiefmutter der Welt. Außer der männlichen Erbanlage wird also nicht noch eine gesonderte Erbanlage für Königinnen und eine gesonderte für Arbeiterinnen weitergegeben, sondern die einzige weibliche Erbanlage, die neben der männlichen vorkommt, erscheint hier weich wie Wachs, so daß daran die verschiedenen Lebenslagen (Nahrung) entweder dieses oder jenes Prägebild herauszuarbeiten vermögen, beide kunstvoll, aber grundverschieden.  Gewiß ist dies ein Fall, der verdient, als Schulbeispiel in den Lehrbüchern aufgeführt zu werden.

Es gibt bei der Königin nur eine einzige weibliche „ Erbanlage “.  Ob unter ihren weiblichen Nachkommen Arbeiterinnen oder wieder Königineigenschaften ausgebildet werden, das entscheidet die Lebenslage (Nahrung).

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hromosomenlehre und Vererbung.

Die Bienenzüchter sind vielfach auf dem Gebiete der Befruchtungslehre besser unterrichtet als die übrigen Tierzüchter.  Die wissenschaftliche Befruchtungslehre verdankt auch den Bienenzüchtern, besonders Dierzon, wichtige Anregungen.

Bei der Befruchtung vereinigen sich das Ei, das Produkt des weiblichen Geschlechtes, mit dem Samenfaden (Sperma, Spermatozoen), dem Produkt des männlichen Geschlecht.  In ein Bienenei dringen zwar mehrere, drei bis sieben, ja bis zu zehn Samenfäden ein, aber nur ein einziger findet seine endgültige Verwertung.  Same und Ei sind, trotz der ganz verschiedenen Gestalt und Größe, einander gleichwertig; es sind Zellen, deren wichtigster Bestandteil, der Zellkern, bei dem Ei deutlich zu erkennen ist, bei dem Samenfaden aber im Spermienkopf, in dem etwas verdickten Vorderteil, eng zusammen verstaut und unkenntlich erscheint.  Das Protoplasma, die lebende Zellflüssigkeit, ist im Ei überreichlich vorhanden; im Sperma fehlt sie sozusagen ganz.  Bei der Befruchtung vereinigt sich der von der Mutter stammende Eikern mit dem vom Vater stammenden Samenkern.  Dieser wichtige Augenblick ist beim Bienenei erst gekommen, wenn das Ei schon einige Zeit, 3–4 Stunden, abgelegt ist.  In dieser Zeit haben sowohl der Spermienkopf als der Eikern wichtige Veränderungen erlebt.  Sie haben sich aufgelöst in kleine, künstlich stark färbbare Körperchen.  Diese wichtigen Farbkörper, Chromosomen genannt, werden uns noch viel beschäftigen.  Sie erscheinen an sich nicht merkwürdig, werden sogar im Verlauf der Zellvorgänge vielfach unsichtbar, doch treten sie von Zeit to Zeit, namentlich bei den wichtigen Zellteilungsvorgängen, immer in einer ganz bestimmten Zahl in die Erscheinung, und durch ihre regelmäßigen Zahlen wurde man veranlaßt, diesen Farbkörpern eifrig nachzuspüren.  Es ist die Regel, daß jede Tier- und Pflanzenart in allen Zellen eine bestimmte Zahl von Chromosomen enthält, z. B. die Zahl 32 (siehe Abb. 6 u. 7, auch 8).

Würden nun aber die reifen Geschlechtszellen, also das reife Ei und das reife Sperma im Kerne, auch je 32 Chromosomen enthalten, dann müßte aus der Vereinigung der beiden ein Wesen mit 64 Chromosomen entstehen, das in allen Zellen, auch in seinen sich bildenden Geschlechtszellen, 64 Chromosomen hat.  Bei der Vereinigung der neuen Geschlechtszellen müßte ein Wesen mit 128 Chromosomen entstehen usf.  Die Chromosomenzählen müßten in den kommenden Generation rasch ansteigen.

Bei der Befruchtung des Eies treffen väterliche und mütterliche Chromosomen, und zwar stets in gleicher Zahl, zusammen.

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eduktionsteilung und Vererbung.

Es findet aber bei allen Lebewesen nicht nur eine Verdoppelung der Chromosomen (bei der Befruchtung), sondern als Gegenmaßnahme auch eine Halbierung der Chromosomen statt.  Bei den höheren Lebewesen, auch bei der Biene, findet diese Herabsetzung unmittelbar vor der Verdoppelung (Befruchtung) statt.  Wenn immer vor der Befruchtung die Zahl der Chromosomen in den Geschlechtszellen von 32 auf 16 herabgesetzt wird, dann kann die Zahl der Chromosomen auch in der längsten Generationsfolge nicht höher steigen als 32.  Die Zahl der Chromosomen braucht nur in den Geschlechtszellen herabgesetzt („ reduziert “) zu werden, denn nur Geschlechtszellen vereinigen sich zu einem neuen Lebewesen.  Diese Reduktion der Zahl findet statt anläßlich einer der vielen Zellteilungen, welche die Geschlechtszellen durchmachen.  Diese Zellteilung ist von besonders großer Bedeutung; sie ist oft untersucht worden und heißt Reduktionsteilung.  Erst nachdem das Ei oder das Sperma diese Reduktionsteilung durchgemacht hat, ist es sozusagen reif für die Befruchtung.  Darum heißt diese Reduktionsteilung auch Reifungsteilung.  Bei der Biene beginnen die Reifungsteilungen der männlichen Geschlechtszellen schon sehr früh; bevor nämlich die Drohne selbst das Licht der Welt erblickt, sind die Geschlechtszellen ihres Körpers schon reif.  Die Reifung der weiblichen Geschlechtszellen, der dem Imker so wohlbekannten Eier, findet sehr spät statt, sogar geraume Zeit nachdem sie die Ausführungswege der Königin passiert haben und im Zellboden festgeklebt sind.  Dabei lauert mit seiner längst reduzierten Chromosomenzahl (wie aus dem Gesagten hervorgeht) in der einen Ecke schon ein Kopfstück eines eingedrungenen Samenfadens (Abb. 6) darauf, bis das Ei auch die Chromosomenzahl reduziert hat, bis es ebenfalls gereift ist.  Die Vereinigung der beiden reifen Kerne, also des reifen Spermakerns mit dem reifen Eikern, ist in Abb. 7 dargestellt.

Bei der Biene kann man zwar in diesem Augenblick die Chromosomen nur noch schlecht zählen.  Es sei nicht verschwiegen, daß das Chromosomenzählen bei den Bienen und ihren Verwandten gar nicht leicht ist, daß tatsächlich hier Besonderheiten vorliegen, und daß demnach begreiflicherweise Meinungsverschiedenheiten in mehreren Punkten bestehen.  Im wesentlichen aber herrscht Übereinstimmung und die Chromosomenzählen 32 und 16 spielen bei der Biene die erwähnte so außerordentlich bedeutende Rolle.  — Als Regel gilt:

Bei der Reifung sowohl der männlichen als der weiblichen Geschlechtszellen wird die Chromosomenzahl auf die Hälfte herabgesetzt.

Abb. 6: Samenfaden, in das Bienenei eingedrungen.

Abb. 7: Befruchtung des Bieneneies.  Vereinigung des männlichen und weiblichen Zellkerns.

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