Warum wollen wir die Biene verändern ? – Paul Jungels – 1997

Warum wollen wir die Biene verändern ? – Grundsätzlich verfügen wir über 2 verschiedene Möglichkeiten der Problembewältigung in der Imkerei

Warum wollen wir die Biene verändern ?

Extrakt von Imkerei-Technic Magazin,
98 Heft 1, 1998
mit seiner Erlaubnis.
 
Artikel von Paul Jungels
Berufs — Beienzüchterei,
Brandenbourg, Luxemburg.

Grundsätzlich verfügen wir über 2 verschiedene Möglichkeiten der Problembewältigung in der Imkerei:

  • Einmal die betriebstechnischen Maßnahmen, mittels derer die heutige „ moderne “ Imkerei sich in der Lage sieht Bienenvölker nahezu nach Rezept zu führen und einzusetzen (z.B. gezielter Aufbau von Bienenvölkern für spezielle Trachten, für Bestäubung von Kulturpflanzen im Freien und in Gewächshäusern, betriebstechnische Schwarmverhinderung usw.).
  • Zum anderen, parallel dazu, die Möglichkeit und Notwendigkeit der genetischen Anpassung an veränderte Umweltbedingungen und generell an neue Bedürfnisse, also Problemlösung auf züchterischem Weg.  Im Gegensatz zur ersten Möglichkeit, den betriebstechnischen Maßnahmen, schafft die genetische Anpassung  weitgehend bleibende und universell einsetzbare Werte.  Diese lassen außerdem jede weitere betriebstechnische Maßnahme ihrerseits zusätzlich vereinfachen und berechenbarer werden.  (z.B. die unterschiedlichen Reaktionen von genetisch verschiedenartig veranlagten Bienenvölkern auf die vorhin erwähnten Schwarmverhinderungsmassnahmen sind jedem erfahrenem Imker bekannt).

Wenn wir uns also die Frage stellen, warum wir überhaupt Zuchtauslese betreiben, so erscheint mir reichlich simpel wenn von möglichen Ertragssteigerungen (also in entfernterem Sinne ausschließlich Gewinn und Bereicherung) als Hauptmotivation die Rede ist.  Vielmehr können wir davon ausgehen, daß die Neigung von uns Menschen (wir — als Teil der Natur), die Mitgeschöpfe der Natur in unserem Sinne bleibend — positiv zu beeinflussen und zu verändern einem Elementartrieb entspringt, dem auch z.B. die Entstehung der Haustiere über Jahrtausende zugrunde liegt.  Wir sollten unser kleines schöpferisches Talent daher keineswegs als eine Erfindung der Neuzeit werten.

Der ständige Konflikt — die Optimierung

Erstaunlicherweise kann man hin und wieder — hauptsächlich von Außenstehenden — von der perfekter Harmonie hören in der von Menschenhand unbeeinflußten Natur, von Harmonie und Eintracht zwischen Pflanze, Tier und ihrem Umfeld.  In dieses Gefüge müsse sich die Arbeitsweise eines Landwirtes, eines Imkers oder eines Försters (um nur diese zu nennen) einpassen oder eingliedern können, dies als Voraussetzung einer erfolgreichen Arbeit mit der Natur.

Lieber Imkerfreund, liebe Berufskollegen, die wir im Sommer oft tagelang draußen arbeiten müssen von früh bis spät, haben Sie je etwas gespürt von Harmonie, wenn Sie abends todmüde heim kamen, den Buckel naß seit dem frühen morgen vom Regen ? – Womöglich von den Bienen zerstochen ? – Die Zuchtzellen ausgefressen ? – Die Honigräume leer ?  Denken Sie nicht, einem Landwirt, ob in der malerischsten Bergregion oder im nordischen Flachland, ergehe es grundsätzlich anders.

Glauben Sie im Ernst, Ihre Bienen hätten Harmonie verspürt wenn wir Imker – Drohnenbrut ausschneiden ? – Ableger bilden ? – Den Honig stehlen ?

Aber es geht nicht nur um unser Zutun.  Glauben Sie die Bienen verspüren irgend eine Harmonie wenn ihnen im Spätwinter fast die Kotblase platzt ?  – Wenn sie wenig später von räubernden Ameisen belästigt werden ? – Beim Wasserholen in der Frühjahrskälte erstarren ? – Und die Jungköniginnen die sich um Leben oder Tod zerbeißen ? – Die Drohnen die im Sommer von den Bienen ausgehungert werden ?  Denken Sie an Harmonie wenn Ihre Bienen im Spätsommer von der Varroa dezimiert werden, von Wespen belästigt und die Bienenvölker sich dann schlußendlich im Überlebenskampf noch selbst beräubern ?

Mag sein, daß heute einem Großteil der Bevölkerung in der westlichen Welt der ständige Kampf ums Überleben in der Natur fremd geworden ist.  Oder wir verdrängen diese Tatsachen, diese Gedanken, weil sie nicht in ein bestimmtes Weltbild — mit der Natur — hineinpassen.  Auf unsere Bienen übertragen: – Harmonisch und stark soll ein gutes Bienenvolk aussehen, man kann es in fast jeder Bienenzeitung, in jedem Bienenbuch nachlesen.  Vermutlich heißt jedoch harmonisch und stark im wesentlichen: den Konflikt mit dem Umfeld aufgenommen und gewonnen, also im Konflikt überlegen, unentwegt der Stärkere gewesen zu sein.

Selbstverständlich dürfen wir diese Überlegung aus verschiedenen Blickwinkeln führen.  Aus der Sicht des Imkers beispielsweise provoziert die Stechlust der Bienen eine Konfliktsituation, nicht nur zwischen Bienenvolk und Imker, sondern genauso eine zwischenmenschliche, mit unseren Nachbarn.  Da wir außerdem aus unserer Imkerpraxis wissen, daß eine allzu große Verteidigungsbereitschaft des Bienenvolkes in unseren Breiten keinen Sinn (mehr) ergibt, haben wir gute Gründe uns ihrer zu entledigen.  Und zwar bleibend, folglich auf genetischem Weg.  Nämlich durch entsprechende Verpaarung und Selektion.  Bei Erfolg haben wir einen Konflikt entschärft, zumindest aus unserer Sichtweise.

Mittels Zuchtauslese verfügen wir folglich nicht nur über die Möglichkeit zur Ertragssteigerung.  Betriebsoptimierung durch Vereinfachung unserer Arbeit sind in unserer Berufsimkerei ebenbürtige Zuchtziele.  Und diese Optimierungen sollten wir versuchen nicht einseitig aus unserem, sondern aus diversen Blickwinkeln zu betrachten.

Die Verpflichtung aus ökologischer Sicht

Der immer wieder von etlichen Ökologisten hervorgebrachte und äußerst propagandistisch wirkende Verweis auf die « Pflicht der Erhaltung », also der Konservierung, ist meines Erachtens in dieser einfachen Form nicht berechtigt.  Die Natur befindet sich inmitten einer ständigen unaufhaltbaren Evolution, von der wir nur ein Teil sind, an der wir teilhaben, ja eine Evolution die wir maßgeblich mit gestalten können und müssen.  Sehen Sie zum Fenster hinaus, die Pflanzenwelt.  Können Sie eine eine einzige Pflanze aus Ihrem Umfeld nennen, die von Menschenhand unbeeinflusst wäre ?

Ich sehe es als eine Pflicht der heutigen Imkerei an, sich dieser Verantwortung, dieser Aufgabe der Anpassung unserer Bienen  zu stellen.

Die Genetik befaßt sich mit dem Leben selbst.  Sie ist somit der Ansatzpunkt für den Hebel unseres Schaffens.  Züchtung ist also vornehmlich eine kreative, eine schöpferische Tätigkeit.  Sie verlangt sowohl nach entsprechenden Freiheiten, wie auch nach dem nötigen Verantwortungsbewußtsein.

Beginnend mit der Erfindung des mobilen Rähmchens vor über 100 Jahren durch Pfarrer Langstroth, aber noch maßgeblicher und stärker durch die allgemeine Einführung der Zuckerfütterung durch Freudenstein nach der Jahrhundertwende begann der Mensch auf die unerbittliche Naturaulese bei der  Honigbiene einzuwirken.  Größtenteils bestanden (und bestehen auch heute noch) die Einwirkungen in der Ausschaltung dieser unbarmherzigen Naturauslese.  Z.B wird ein Volk ohne Leistung einfach im Herbst stärker gefüttert, ein Volk mit zu geringer Vitalität im Frühjahr aufgepäppelt oder verstärkt.  Dessen Drohnen fliegen erneut zur Paarungszeit aus und es ist eine Illusion zu glauben sie wären nicht an Begattungen beteiligt.  Diese Einwirkungen blieben im Zeitverlauf von etwa 100 Jahren nicht ohne Folgen, ganz besonders was die Krankheitsanfälligkeit und Vitalität unserer Honigbiene betrifft.  Der Mensch ist hier folglich erneut gefordert :

Aus ökologischer Sicht ist eine züchterische Bearbeitung der Honigbiene auf breitester Ebene, und zwar nach modernsten und intensivsten Methoden und Erkenntnissen, vor allem auch auf die Zuchtziele Vitalität und Krankheitsresistenz hin, eine unumgängliche Notwendigkeit.

Mir bleibt es deshalb ein Rätsel wieso Oeko- Bewegungen wie z.B. Demeter u.a. gerade hier einen Riegel vorzuschieben versuchen.  Dies besonders weil bei deren aktiven Mitgliedern in hohem Maß in den eigenen Betrieben High- End Zuchten zum Einsatz gelangen.

 
Januar 1997
Paul Jungels
 
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