Paul Jungels — 1997 — Der dynamische Zuchtweg

Die Tatsache, daß eine fortgesetzte Reinzucht unter dem Druck der Auslese langsam aber sicher zu einer genetischen Erosion des betreffenden Zuchtstammes führt ist unumstößlich.

Der Dynamische Zuchtweg

Graz, Februar 1997
Extrakt von Deutsches Bienen Journal,
6(5), 1998, 14-15.
von Paul Jungels,
Berufsimker
1a, Iewescht Gaass
LU-9361 – Brandenbourg,
G.D. von Luxemburg

 

Die Tatsache, daß eine fortgesetzte Reinzucht unter dem Druck der Auslese langsam aber sicher zu einer genetischen Erosion des betreffenden Zuchtstammes führt ist unumstößlich.  Jeder im Bereich der Paarungskontrolle exakt arbeitende Züchter weiss um die Problematik.  Auch wenn dieser Ausdruck (genetische Erosion) dem Herrn Dr. Pechhacker nicht gefällt, so umschreibt er doch sehr zutreffend den manchmal langsamen, schleichenden Zerfall eines Zuchtstammes bei fortgesetzter Reinzucht.

Wir können und dürfen uns diesem Problem daher nicht verschließen.  Ein fortgesetzte Reinzucht, also eine Züchtung innerhalb einer echten geschlossenen Population, mündet notwendigerweise in einer Sackgasse.  Zwar verfügen wir mittels Reinzucht, bei entsprechender Auslese, über die Möglichkeit der Summierung, der Intensivierung der von uns erwünschten Eigenschaften.  Gleichzeitig über die Möglichkeit der Ausschaltung unerwünschter Anlagen.  Dies geht entsprechend der Logik allerdings immer und ohne Ausnahme auf Kosten der Eigenschaftsvielfalt.  Bei Reinzucht innerhalb einer geschlossenen Population gibt es nur diesen Weg: Von der Vielfalt hin zur Verarmung.

Der Selektionserfolg im Hinblick auf die gesetzten Zuchtziele wird dabei von zwei Parametern bestimmt:

  • einmal der Selektionsschärfe
  • zum anderen der Größe der Population aus der ausgelesen wird.

Der Verlauf der zu erwartenden Inzucht wird im Wesentlichen durch die Anzahl der verwendeten Zuchtmütter per Generation, auch als Drohnenspender bestimmt.  In einer kleinen natürlichen Population von z.B. 300 Völkern sind dies immerhin 300 Königinnen.  Jedes Volk ist in der Regel sein eigenes Zuchtvolk!  Bei einer wahrlich nicht sehr hohen Selektionsschärfe von 1: 10 sind dies nur noch 30 Königinnen.  Hinzu kommt, dass diese 30 womöglich nach den gleichen Kriterien ausgewählt wurden!

Unabhängig von der Wahl der Rasse oder des Zuchtstammes muß sich ein Reinzüchter folglich stets in irgend einer Form eine Möglichkeit ausdenken dem Druck der Inzucht entgegenzuwirken.  In der Regel geschieht dies durch regelmäßiges Öffnen der geschlossenen Population für neues Material.  Innerhalb der gleichen Zuchtrasse muß man allerdings bedenken, daß das Zusammenführen von zwei geschädigten Inzuchtstämmen in der Regel zu keiner wesentlichen Anreicherung führen kann, bestenfalls zu einem flüchtigen Auf bäumen durch einen gesteigerten Heterosiseffekt.  Viele auf dieser Basis entwickelte Zuchtprogramme sind durch das Übersehen dieser Tatsache gescheitert.  Durch Reinzucht kann nichts grundsätzlich Neues erstellt werden, d.h. es wäre eine Illusion mittels Reinzucht Eigenschaften in einen Zuchtstamm züchten zu wollen, die in irgendeiner Form nicht schon vorhanden sind Als einziger Ausweg bleibt hier, genau wie bei drohender Inzucht, das Aufsprengen der geschlossenen Population, also eine entsprechende Verpaarung mit genetisch anders gelagertem Material.  Entweder mit Zuchtstämmen der gleichen Rasse (unter obigem Vorbehalt!) oder, je nach Zuchtziel: Rassenkreuzung und Kombinationszucht.

Der dynamische Zuchtweg

Der Zuchtweg Bruder Adam´s beinhaltet eine Lösung zu dieser Gesamt- Problematik.  Gleichzeitig zeigt er uns den Weg unsere Bienen entsprechend unseren Bedürfnissen zu verändern und so immer wieder neuen Herausforderungen zu begegnen, resp.  die Bienen anzupassen.  Buckfastzucht stellt, im Gegensatz zu einer statischen Zuchtweise die sich ausschließlich oder überwiegend der Reinzucht (Konservierung und Vereinheitlichung) widmet, einen dynamischen Zuchtweg dar (diese vergleichenden Begriffe wurden von J. Knoblauch gebraucht, und später von Bruder Adam übernommen).  In dieser Denkweise spielt die Erhaltungszucht, also die Reinzucht der einmal erzielten Ergebnisse nur insofern eine Rolle, die Ergebnisse der Kombinationszucht so lange zu konservieren, bis der nächste Schritt einer weiteren Kombinationszucht zu besseren Resultaten, resp. zu einer weiteren wünschenswerten Anpassung (z.B. Krankheitsresistenz) geführt hat.

Dies ist auch der wahre Grund, weshalb Bruder Adam eine morphometrische Erfassung der Buckfastbiene und eine Klassifizierung nach einem äußeren Standart immer ablehnte.  Daß dies sehr wohl möglich ist, beweisen die Untersuchungen von Frau Dr. Kauhausen–Keller an einer Reihe deutscher Buckfaststämme.  Eine Standardisierung solcher Art paßt jedoch einfach nicht in diese progressive Denkweise.  Sie käme nämlich einem Korsett gleich, in dem sich das Buckfastspektrum später bewegen würde / müßte.  Die Buckfastzucht würde dann in weiten Bereichen eine statische Sichtweise annehmen müssen, so, wie dies auch heute noch bei vielen anderen Zuchtstämmen der Fall ist.  Tatsächlich sehe ich im dynamischen Zuchtweg, in dem sich Kreuzungszucht, Kombinationszucht und die anschließende Reinzucht der erzielten Ergebnisse vereinen das wahre Vermächtnis welches uns Bruder Adam hinterließ.

Die Kreuzungen

Erfolgversprechendes Züchten bedeutet und erfordert (aufgrund der erwähnten Gefahren) den Eigenschaftskomplex, also die Gesamtheit der Gene einer Zuchtpopulation zu bereichern, und zwar um neue, erwünschte, wertvolle Eigenschaften.  Das primäre Ziel der in der Buckfast–Zuchtweise durchgeführten Kreuzungsversuche ist hierin begründet.  Sämtliche Züchtungsfortschritte in der vom Menschen beeinflußten Landwirtschaft wurden auf diese Weise erzielt.  Aber auch in der Natur kommt es entgegen vieler Darstellungen in zahlreichen Fällen zu echten Rassekreuzungen, und in der Folge zur Neukombination der Eigenschaften.  Dies z.B. wenn gelegentlich aufgrund besonders günstiger klimatischer Bedingungen Schwärme große Distanzen zurücklegen, oder besonders vitale Geschlechtstiere natürliche Abgrenzungen zu überwinden vermögen.  Man stelle sich dazu einmal eines der riesigen Verbreitungsgebiete der Honigbiene mit verschiedenen Rassen vor, etwa zwischen der Südspitze Italiens über den Balkan bis zur Südspitze Griechenlands!  Nicht überall befinden sich die oft zitierten natürlichen Barrieren.

Der enorme Drang der Honigbiene zur Fremdpaarung ist allen züchtenden Imkern sehr gut bekannt, ja verhaßt, aber er ist in Verbindung mit einer unerbittlichen Naturauslese gewiß der wesentliche Bestandteil der Evolution.  Und dennoch, liest man die Imkerzeitungen, so scheint die Hauptsorge etlicher Wissenschaftler, Züchter und vieler Vereinsfunktionäre darin zu bestehen, durch allerhand Schutzmaßnahmen dem natürlichen Drang des Bienenvolkes nach Variation ein für allemal ein Ende zu setzen.  Prof. Ludwig Armbruster hingegen bemerkte vor bald 50 Jahren: „Vor dieser Züchtungsmethode Angst zu haben resp. zu schüren ist kindisch und ist eine Folge des Rassenkultes, speziell aber auch der Vergötterung von vermeintlicher Rassereinheit.“

Ein seriöser Züchter wird jedoch niemals seinen gesamten Zuchtstamm mit fremdem Material (der gleichen Rasse — oder auch fremder Rassen) kreuzen.  Die Kreuzungen resp. Anpaarungen werden vielmehr über viele Generationen separat zum Grundstamm geführt In einer ersten Phase versuchen wir, meistens über den Weg der Verdrängungszucht über einige (wenige) Generationen, die unerwünschten Eigenschaften der Kreuzung resp. des eingesetzten Rohmaterials (falls vorhanden) zu neutralisieren, d.h. durch die schon vorhandenen besseren Eigenschaften des Grundstammes dominant zu ersetzen.  In dieser Phase der Kreuzung ist es wichtig zu erkennen wie, ob überhaupt und unter welchen Umständen sich die erwünschten Eigenschaften von den unerwünschten trennen, d.h. aufspalten.  Wir verfügen folglich über die Möglichkeit uns ein Bild zu machen über das, was zu erwarten ist.

Die Kombinationen

Erzielt man hier positive Ergebnisse, so müssen in einer zweiten Phase über eine Serie von Inzuchtgenerationen mit einer dem Gesamtzuchtziel zuorientierten Auslese der Elterntiere, die neuen Eigenschaftsverbindungen isoliert und fixiert werden.  Ohne diese Inzuchtgenerationen sind erbbeständige Kombinationen tatsächlich nicht möglich, die Kreuzungsergebnisse würden sich innerhalb weniger Generationen verlieren.

Erst dann, wenn die Neuverbindungen in einwandfreier erbfester Form vorliegen, kommt eine weitere Verbindung mit dem Hauptzuchtstamm in Frage, d.h. die neuen nun besseren Linien treten schrittweise anstelle des alten Zuchtstammes.  Feste, rezeptartige Regeln gibt es aber hier nicht.  Die Entscheidungen über die Zuchtauswahl und erneute Verpaarungen müssen immer individuell getroffen werden.

In der Kombinationszucht geht es also nicht, – wie von gewissen Seiten (z.B. ebenfalls von Herrn Pechhacker, Bienenvater 11/1990) immer wieder falsch behauptet wird, um die Einkreuzung dieser oder jener Rasse schlechthin in den Zuchtstamm.  Vielmehr geht es hier um eine ständige Anreicherung des Grundstammes mit erwünschten, zuvor isolierten Eigenschaftsverbindungen anderer Rassen oder anderer Zuchtstämme, aus denen diese am vorteilhaftesten zu züchten sind.

Wer sich dieser Möglichkeit, aus welchen Gründen auch immer, verschließt, verschließt sich selbst die Möglichkeit des eigenen Zuchtfortschritts.  Als Vereins– oder Verbandsfunktionär auch dem anderer.

An dieser Stelle komme ich nicht umhin auf die vielzitierten und oft nachgebeteten Vorwürfe gegenüber der Kombinationszucht einzugehen, dies besonders bei der Erstellung von Rassenkreuzungen.  Hauptsächlich geht es hier um die sogenannten Abfallprodukte der Kreuzungen und deren Einfluß auf die Bienen der nichtzüchtenden Imker.  In der Tat sollte man hier in jedem Fall Vorsicht walten lassen und Vorsorge treffen.  In unserem Betrieb werden die ersten Generationen gewisser Kreuzungen und Fremdpaarungen stets unter Quarantäne gehalten, d.h. ich verhindere den Ausflug von Königin und Drohnen.  Erst nach ausgiebiger Vorprüfung und Auslese der Kreuzungen über einige Generationen wird diese Vorsichtsmaßnahme aufgehoben, und zwar dann, wenn das Niveau dieser speziellen Zuchten über dem Schnitt der allgemeinen Landbiene steht, dies insbesondere hinsichtlich der Sanftmut.  Die Besucher unserer Stände können gewiß bestätigen, daß unsere Bienen, selbst die Kreuzungen, auch bei Standbegattung extrem sanftmütig sind.  Auch Buckast × Carnica–Kreuzungen bleiben sehr sanftmütig, die reziproke Kreuzung wohl noch ruhiger, und das über viele Generationen. (Vergl. dazu auch die veröffentlichen Versuche der deutschen Institute).

Negative Aufspaltungen, und nicht nur hinsichtlich der Stechlust, gibt es allerdings nicht nur bei Rassenkreuzungen wie oft gerne behauptet wird.  Sondern genau so oft auch bei Paarungen zwischen verschiedenen Zuchtpopulationen derselben Rasse.  Sie können immer dann auftreten wenn eine geschlossene Zuchtpopulation, aus welchen Gründen auch immer, geöffnet wird für neues Material (siehe Carnica–Paarungen in Jugoslawien für Norddeutschland), sowie auch bei Standbegattungen jeder Art.

Ich darf hier den Zuchtbeirat des DIB, Herrn Thiesler, zitieren aus einem Beitrag in der Neuen Bienenzeitung Nr. 7/91 über die „Kombinationseignung verschiedener Linien der norddeutschen Carnicapopulation“ Neben etlichen positiven Ergebnissen bei Linienpaarungen (also innerhalb der gleichen Rasse) auch folgende Erfahrungen.  Ich zitiere wortgetreu:

Eva Englert zu diesen Ergebnissen: — Erfahrungsgemäß bekommt man bei Linienkreuzungen meist gute Ergebnisse, aber eben nicht immer.  Mehrjährige Beobachtungen haben gezeigt, daß sich die Celler Linie sowohl für eine Kombination mit der Peschetz als auch mit der 03 eignet.  Werden aber von der 03 weitere Folgegenerationen gezogen, sinkt die Leistung meist auf einen Mittelwert, aber die Schwarmneigung bleibt.  Kombinationen zwischen der Celler Linie und der Hoffmann Linie haben sich nicht bewährt.  Die Völker waren unruhig, die Schwarmneigung nahm zu und die Leistung war unausgeglichen.“

Dann erwähnt Herrn Thiesler zusätzlich ein Beispiel: „ — Einige Kombinationen haben sich nicht bewährt, sie führen zu unruhigen, aggressiven Völkern.  Beispielsweise haben sich die Kombinationen der Norddeutschen Troiseck– und Peschetzlinien mit verschiedenen Sklenarlinien nicht bewährt, dagegen brachten die untereinander gepaarten Sklenarlinien gute Ergebnisse.

Ähnliche Beispiele könnte ich aus meiner eigenen Praxis mit guten reinen Österreichischen Herkünften zitieren.

Und Herrn Thiesler weiter in seiner Schlußfolgerung: „— Voraussetzung für ein Funktionieren dieses Systems ist die Erhaltung der verschiedenen Linien.  Wie schnell eine Kombinationseignung verloren geht, mag ein Beispiel der Celler Zucht zeigen: Im Jahre 1966 wurde über Wangerooge erstmals Lunzer Material angepaart.  Es kam zu erheblichen Leistungssteigerungen.  In den Folgejahren wurde Wangerooge weiter beschickt.  Die Leistungssteigerungen blieben jedoch aus.“

Und dann der Widerspruch: „ — Mit diesem Zuchtsystem der Linienzucht und der Linienkombination bewegen wir uns innerhalb einer geographischen Rasse und ersparen den nichtzüchtenden Imkern das negative Abfallprodukt der Hybridzucht, nämlich die unkontrollierten Paarungen verschiedener Rassen.  Diese Kreuzungsprodukte sind teilweise aggressiv und spalten in den Folgegenerationen in der Leistung sehr stark auf.  Mit einem solchen Einfluß auf die Landbiene wäre niemandem gedient.

Die Bemerkung ist erlaubt, was denn nun passiert wenn bei nichtzüchtenden Imkern die verschiedenen Carnica Linien sich in freiem Flug wild verpaaren, was ja wohl kaum zu vermeiden ist.  Jedenfalls sehe ich hier keinen Unterschied zu den sogenannten Abfallprodukten der wirklichen Kombinationszucht auf der Basis von Rassenkreuzungen.

Die Erhaltungszucht

Eine möglichst optimal gestaltete Erhaltungszucht, also Reinzucht der erzielten Ergebnisse über Generationen ist ein wesentlicher Teil des Zuchtweges Bruder Adam’s.  So werden auch in unserem Betrieb verschiedene Reinzuchtlinien abwechselnd untereinander verpaart.  Wir verfügen über Buckfastlinien welche seit vielen Generationen in Reinzucht (über den Weg der Linienpaarungen) geführt wurden.  Zu grauenhaften Aufspaltungen, wie sie von Frau Dr. Kohlich in Österreich derzeit prophezeit werden ist es bisher noch nie gekommen.  Ja, ich bin voller Überzeugung, daß diese Linien in der Erbtreue all ihrer spezifischen Verhaltenseigenschaften jede ACA– Zuchtlinie um Längen übertreffen.  Diese Reinzuchtlinien bilden sowohl den „Anker für das Erreichte“ als auch die Ausgangsbasis zu weiteren Züchtungsversuchen mittels Kreuzungen. (Weiterentwicklung des Zuchtstammes)

Graz, Februar 1997
Extrakt von Deutsches Bienen Journal,
6(5), 1998, 14-15.
von Paul Jungels,
1a, Iewescht Gaass
LU-9361 – Brandenbourg,
G.D. von Luxemburg